Sightseeing auf isländisch

Schwarze Lavafelder. Soweit das Auge reicht. Beeindruckend. Immer wieder. Die arabischen Schriftzeichen auf den Rückspiegeln des Gefährts, das mein Freund Birgir mit Freude durch die Landschaft bewegt, lassen vermuten, dass sich der Offroader in „seinem“ Gelände bewegt. Ob weiß oder schwarz, Wüste ist Wüste.

Es ist gegen halb sieben, als mich Birgir nach einem anstrengenden Arbeitstag abholt und ich eigentlich nur noch ausruhen will. Doch sein Plan, zur Dame Hekla zu fahren, macht mich wieder wach. Die Aussicht auf Nachthelligkeit zudem. Juhu, let’s have an icelandic landscape party! Erste Maßnahme: Stoppe in Fluðir, einem typischen 400 Seelen Dorf mit Supermarkt, Schwimmbad, Hotel, Bank, Post, Restaurant und mindestens einer Superlative. Letztere ist hier die größte Pilzfabrik Islands. Dass deshalb frische Pilze auf der mit Heißhunger erwarteten Pizza liegen, jedoch weit gefehlt. Hätte Birgir aus Gründen der Zeitersparnis nicht darauf gesetzt, während der Fahrt im Auto essen zu wollen, wäre das in normaler Größe für umgerechnet 15 Euro erstandene und wie sich heraus stellte aus der Frostung aufgebackene „Teil“ wohl angebissen an die Tresendame zurück gegangen. Denn man sollte auch wissen, was in Island in abgelegeneren Landesteilen als Restaurant bezeichnet wird, kann eher einer Selbstbedienungsschänke in Deutschland gleich kommen. Doch bei Hunger vergisst man dann schon mal den Qualitätsanspruch. Bis auf das letzte Stück. Dieses war gedacht als Zwangsessmaßnahme für den Küchenchef oder als Postwurfsendung zurück an den Absender. Doch gab es auf der Rückreise ein faszinierendes Sonnenuntergangsfarbenspiel, das weitaus interessanter war.

Birgir lässt erkennen, dass er Respekt vor Hekla hat.

Hinter der Dame  Hekla verbirgt sich der unberechenbare und gerade einmal mit 30 bis 80 Minuten voraussagbar spukende Zentralvulkan einer 40km langen Vulkanspalte. Der etwa 1500m hohe und zuletzt im Jahr 2000 ausgebrochene Vulkan ist aber nicht nur unberechenbar, sondern eruptiert auch massiv. Wikipedia lässt erfahren, dass die in den letzten 1000 Jahren auf Island ausgestoßene Tephra zu 10% von Hekla stammt, was etwas fünf Kubikkilometer ausmacht. Hinzu kommen etwa acht Kubikkilometer ausgestoßene Lava. Birgir lässt erkennen, dass er Respekt vor Hekla hat. Wenngleich er kein Isländer wäre, wenn er nicht cool mit der ständigen Gefahr von Erdbeben und Vulkanausbrüchen umgehen würde. Eine gewisse Faszination für die Naturgewalten schwingt mit. Vielleicht auch, weil er sich zu helfen weiß. Mitten auf dem mit weitem Horizont erfüllten menschenleeren Vulkanfeld erfahre ich, was zu tun wäre, wenn es jetzt (was nicht unwahrscheinlich ist) zur Eruption käme: Stop the car, open the window, hold your arms out, check the direction of the wind. Ist er abwindig, dann kann man ganz in Ruhe und unbesorgt zurück fahren. Und – weiteres learning – man sollte wissen, dass sich die mit einem Ausbruch einher gehenden gefährlichen Gase in Vertiefungen sammeln. Es ist also ratsam, sich bei Ausbruch in Vulkannähe nicht verstecken oder den Kopf in die Vulkanasche stecken zu wollen, sondern die Erhebungen zu suchen. Beziehungsweise bleibt einem die Entscheidung offen, sich von auswerfendem Gestein treffen lassen oder lieber der Bewusstlosigkeit entgegen gehen zu wollen. Es ist doch immer wieder beruhigend zu wissen, dass es auch in brenzligen Situationen noch Optionen gibt.

Die Isländer lieben Superlative, weshalb ich auch wissen muss, dass wir auf dem Weg zum Fuße der Hekla (isländisch: Haube) die längste gerade Straße Islands fahren. Die längste bedeutet konkret 10km. Auf der unbefestigten Schotterstraße liegen immer wieder große Gesteinsbrocken. Birgir ist verantwortungsbewusst. Also stoppen wir auf dem Rückweg mehrfach, um diese zur Seite zu räumen. Als uns ein allein reisender Japaner mit wesentlich kleinerem Auto entgegen kommt, verstehe ich den Sinn. Birgir hat ein Herz für Touristen, welchen er gleichfalls großes Vertrauen entgegen bringt. Wie auch kürzlich gegenüber einer Rumänin, die spät abends an die Tür seines Hauses klopft, um die Erlaubnis für das Zelten auf seinem Grundstück zu bekommen. Für ihn keine Frage. Sie baut also ihr Zelt auf, er ist neugierig, lädt sie auf eine Pepsi in sein Haus ein, es fängt an zu regnen, er hat Skrupel, sie aus seinem Haus zu schicken. Wie er sie auch am nächsten Morgen um 6:30 Uhr nicht aufwecken will, nur weil er zur Arbeit muss. Voller Vertrauen entscheidet er, sie im Zimmer seiner Tochter, die gerade in den Westfjorden ist, übernachten zu lassen mit der Botschaft, sie solle einfach ausschlafen und beim Verlassen des Hauses die Tür hinter sich schließen. Welcome to Iceland!

Die Furcht wandelt sich recht schnell in Spaß.

Bis zur versprochenen besten Sonnenuntergangsaussicht kommen wir leider nicht. Am Fuße des der Hekla vorgelagerten Hügels ist selbst für den Offroader die Straße nicht mehr passierbar. Die Massen aus dem letzten ungewöhnlich intensiven Schneewinter liegen noch immer. Wie schade. Doch will ich nicht meckern, kann ich mich ohnehin nicht erinnern, wann mir so ein faszinierender Anblick des Horizonts jemals unter die Augen gekommen ist. Wir gehen im Donald Duck Gang mit unpassender Schuhkleidung den vor uns liegenden Hügel noch ein wenig hoch, bis mir bewusst wird, dass hoch gehen immer einfacher ist, als runter kommen. Ich drehe mich um und realisiere, dass der Weg zurück zum Auto steil ist. Wirklich steil. Ich wünsche mir einen Schlitten. Ich erinnere mich, dass ich unerreichbare Wünsche überhaupt nicht mag. Bleibt mir also nur, selbst der Schlitten zu sein und in der Hocke nach unten zu rutschen. Die Furcht wandelt sich recht schnell in Spaß. Abgesehen von der Vulkanasche, die meine auf dem Eis schleifenden Fingerkuppen durch größere aufgewindete Vulkanaschepartikel wie Sandpapier behandelt. Unten angekommen frage ich mich, weshalb ich nicht auf nackten Fersen runter gerutscht bin. Nun ja, nächstes mal.

Birgir liebt es, offroad zu fahren und kennt sich auf den Landschaftsfeldern, die für mich abgesehen von der Lage der Berge alle gleich ausschauen, aus wie in seiner Westentasche. Es ist gerade erst Mitternacht. Also fahren wir weiter zu einem Spot mit mehreren Wasserfällen. Erst seit wenigen Tagen ist Island richtig grün. Aber anders grün. Frisch, saftig, intensiv, gestalterisch. Die Wasserfälle sind für Touristen, aber das Grün. Ich kann nicht genug davon bekommen. Bis ich im Hintergrund höre „Eeerhard, komm doch zurück“. Okay, danke, wir können weiter.

Leben in zwei Welten.

Obwohl in Island fast nahezu jeder Englisch spricht, ist Birgir nicht so glücklich mit seinem. Ich dafür mit meinem Isländisch nicht, wenngleich ich an dem Abend wenigstens die Farben gelernt und Aussprache trainiert habe. Dennoch bleibt eine ausgiebige Kommunikation in Erinnerung, die sich nach einer Woche Sólheimar anfühlt wie Leben outside. Leben in zwei Welten. Ich bin gespannt, was und welche Verbindungen dies noch bringen wird…

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